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Positionspapier des Verbandes Deutscher Fischereiverwaltungs-beamter und Fischereiwissenschaftler e.V. zum Ausbau der Wasserkraft in Deutschland

August 2013


Wasserkraft ist eine seit historischer Zeit genutzte regenerative Energiequelle. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Kraft des Wassers vorwiegend durch Säge-, Öl- und andere Mühlen mit häufig geringem Ausbaugrad und nur zeitweiligem Betrieb genutzt. Mit zuneh-
mender Industrialisierung und verstärktem Bedarf an elektrischer Energie hat sich ein konti-
nuierlicher Wandel zu einer auf Stromerzeugung ausgerichteten Wasserkraftnutzung voll-
zogen. Hierbei erfolgte eine fortschreitende Verdrängung der historischen Mühlenräder durch modernere Turbinen, die eine vollständigere und kontinuierliche Ausnutzung des natürlichen Abflussdargebots gestatteten. Zugleich wurden die Gewässer durch umfangreiche Kanali-
sierungs- und Stauregulierungsmaßnahmen in einen überwiegend naturfernen Zustand überführt.

Bereits 1996 hat der VDFF in einer Resolution zum „Problem der Kleinwasserkraftanlagen und Gewässerökologie“ Position bezogen.


Anlässlich des Deutschen Fischereitages in Ulm hat der Deutsche Fischereiverband (DFV) das Thema aufgegriffen und am 18. Juni 2013 eine Resolution zur derzeit propagierten und vielerorts geplanten Erweiterung der Wasserkraft erlassen.


Der VDFF nimmt dies zum Anlass, ergänzend zu seiner vor rd. 20 Jahren resümierten, allgemeinen Einschätzung zu diesem Thema aus heutiger Sicht Stellung zu beziehen. Das geschieht auch insbesondere vor dem Hintergrund veränderter rechtlicher und technischer Rahmenbedingungen sowie des bestehenden Erkenntniszuwachses zu den mit Wasser-
kraftnutzung verbundenen Problemfeldern wie z.B. Einschränkungen von Fließwasserle-
bensraum, Durchgängigkeit, Fischschutz und Fischabstieg; nicht zuletzt auch wegen der zunehmend geäußerten Wunschvorstellung, die Wasserkraft an unseren Fließgewässern noch weiter auszubauen. Hierbei stellen nachfolgende Ausführungen vorangestellte, zusam-
menfassende aktuelle Einschätzungen dar. Diese sollen sukzessive thematisch differen-
zierter und in geeigneter Form aufgearbeitet und zur Verfügung gestellt werden (z.B. auf der homepage des VDFF).

Aus Sicht der Fischerei sind die Auswirkungen der intensiven Wasserkraftnutzung kritisch zu bewerten. Der massive Ausbau des Wasserkraftpotentials hat im Zusammenwirken mit weiteren Eingriffen maßgeblich zu den heute großräumig vorliegenden Defiziten bei der Fischfauna und den Fischlebensräumen beigetragen. Artenverluste, Bestandsdefizite, un-
typische Artenverschiebungen, gestörter Altersaufbau von Fischbeständen und schließlich Einschränkungen der Möglichkeiten einer nachhaltigen Nutzung von Fischbeständen sind die Folgen dieser Entwicklung. Im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der regenerativen Energieerzeugung sind die ökologischen Schadwirkungen durch Wasserkraftnutzung nach-
weislich am stärksten System verändernd, d.h. das Ökosystem Fließgewässer wird durch Wasserkraft besonders intensiv und nachhaltig verändert. Aufgrund der bestehenden großen Kraftwerkskulisse in Deutschland sind viele Fließgewässer zu Stauhaltungsketten degra-
diert. Freifließende, zusammenhängende Lebensraumabschnitte sind kaum noch vor-
handen. Durch Turbinen und andere technische Einrichtungen werden abwandernde Fische zu einem erheblichen Teil verletzt oder getötet. Als Ergebnis des inzwischen hohen Aus-
baugrades mit mehr als 7000 Wasserkraftanlagen in Deutschland sind die Fischbestände
in unseren Bächen und Flüssen heute überwiegend gefährdet. Das betrifft insbesondere auf strömende, energiereiche Fließgewässerlebensräume angewiesene Fischarten, für die vielerorts erhebliche Bestandsrückgänge zu verzeichnen sind. In manchen Bundesländern mussten mehr als 70 % dieser Arten in die Rote Liste gefährdeter Tierarten aufgenommen werden. Noch gravierender ist die Situation bei den Langdistanzwanderfischarten, die im Verlaufe ihres Lebens einen Wechsel zwischen Meer und den Binnengewässern vollziehen und somit die gesamte, zwischen diesen Teillebensräumen gelegene Stauhaltungskette des Fließgewässers passieren müssen.

Mit der Errichtung von Fischaufstiegs- und Fischabstiegsanlagen sowie durch die Bereit-
stellung ausreichender Mindestabflüsse in Ausleitungsstrecken können einige der durch Wasserkraftnutzung verursachten Beeinträchtigungen zwar gemindert, jedoch nie voll-
ständig verhindert werden. Grundsätzlich nicht ausgleichbar sind die Schädigungen der Fließgewässerlebensräume und ihrer Fischfauna durch den wasserkraftbedingten Aufstau und Energieentzug.

Neben diesem zwangsläufigen, negativen Einfluss von Wasserkraftanlagen auf Fließge-
wässer und Fischbestände steht ihre vergleichsweise geringe energiewirtschaftliche Be-
deutung. Der Anteil der Wasserkraft an der Bruttostromerzeugung in Deutschland beträgt derzeit noch etwa 3 % (Statistisches Jahrbuch 2012, S.549 ff). Die der Wasserkraft als Vorteil gegenüber anderen regenerativen Energieträgern zugesprochene Grundlastfähigkeit schwindet signifikant in Folge der zu erwartenden klimatischen Veränderungen (Umwelt-
bundesamt 23/2012: Klimafolgen für die Wasserkraftnutzung in Deutschland und Aufstel-
lung von Anpassungsstrategien).

Aus Gründen des Fischartenschutzes und mit Blick auf die Erreichung europaweit gesetz-
lich festgelegter Ziele (EG-Wasserrahmenrichtlinie, EG-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und EGAal-Verordnung) ergeben sich zwangsläufig deutliche Grenzen für den weiteren Bau neuer Wasserkraftanlagen und klare Anforderungen an den künftigen Betrieb bestehender Anlagen. Diese betreffen die Erhaltung und Entwicklung von Fließgewässerlebensräumen, die Gewährleistung der ökologischen Durchgängigkeit sowie die Vermeidung von Fisch-
schädigungen durch Kraftwerksanlagen.

Die natürliche Funktionsfähigkeit der Fließgewässerlebensräume ist in erster Linie durch Erhalt und Wiederherstellung frei fließender Strecken zu sichern. Neuerrichtungen von Stau-
anlagen sind zu versagen und Stauzielerhöhungen an bestehenden Anlagen sind nur in Ausnahmefällen zuzulassen. Bestehende Querverbauungen sind nach Möglichkeit zurück-
zubauen und durch systemtypische Strukturen der Gewässerregion zu ersetzen. Ertrags-
arme Wasserkraftanlagen sind wegen ihrer negativen ökologischen Bilanz möglichst außer Betrieb zu nehmen und zu beseitigen. Nicht rückbaubare Querbauwerke und Wasserkraft-
anlagen sind sowohl mit Fischauf- und Fischabstiegsanlagen nach dem Stand der Technik nachzurüsten. Im Fall von Ausleitungskraftwerken sind die Ausleitungsstrecken mit ökolo-
gisch begründetem Mindestabfluss zu versorgen. Die Betreiber von Wasserkraftanlagen sind hierfür erstrangig in die Pflicht zu nehmen, da diese die wirtschaftlichen Vorteile aus dem Betrieb der Anlage durch Nutzung der öffentlichen Fließgewässer über eine langen Zeitraum in Anspruch nehmen.

Der Bau und Betrieb neuer Wasserkraftanlagen ist nur an Sonderstandorten und damit in wenigen Ausnahmefällen bei bereits bestehenden und nicht rückbaubaren Querbauwerken
ohne weitere Beeinträchtigung des Fließwasserlebensraums denkbar. In derartigen Fällen ist die Verträglichkeit des Vorhabens im Hinblick auf gesetzlich festgelegte Zielvorgaben (z.B. EG-Wasserrahmenrichtlinie, EG-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und EG-Aal-Verord-
nung) und Zielen zu Wanderfischprogrammen zu prüfen. Bei Realisierung eines Vorhabens sind die ökologischen Standards zur Verminderung wasserkraftbedingter Fischschäden ein-
zusetzen. So sind v.a. geeignete Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen nach dem Stand der Technik vorzusehen (u.a. (ATV-DVWK-Themen 2005; EBEL 2013). Eine Evaluierung der hierdurch erzielten biologischen Wirksamkeit ist zwingend erforderlich (Funktionskontrolle). Bei Erfordernis sind weitere Maßnahmen zur Gewährleistung der Verträglichkeit des Was-
serkraftvorhabens nachträglich anzuordnen.

Es ist eine nachdrückliche Forderung der Fischerei, die heimische Fischfauna und deren Fließwasserlebensräume für die nachfolgenden Generationen zu erhalten oder wieder her-
zustellen. Hierfür sind eine konsequente Anwendung der ökologischen Standards bei der Umgestaltung bestehender Wasserkraftnutzung sowie der Verzicht auf die Erschließung der letzten verbliebenen Potenziale für neue Wasserkraftanlagen erforderlich. Dieses Ziel steht im öffentlichen Interesse und ist dem Ausbau der nur noch sehr geringen Wasser-
kraftpotenziale übergeordnet. Der Ausbau der verbliebenen Fließwasserstrecken mit Was-
serkraftanlagen wäre weder für die Umsetzung der Klimaschutzziele relevant, noch hätte er eine begünstigende Wirkung auf die Energieversorgungssicherheit oder die Entwicklung zukunftsfähiger Energiekonzepte in Deutschland.
Bei einem weiteren Ausbau der Wasserkraft würde der bereits jetzt erheblich geschädigten und beeinträchtigten heimischen Fischfauna, den Fließwasserlebensräumen und der Fischerei ein weiterer nachhaltiger und nicht wieder gut zu machender Schaden zugefügt werden.

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